WEGGEFÄHRTEN
In Würdigung meiner Wegbegleiter,
Kameraden, Studienobjekte,
Lehrer, Opfer, Mittäter, Verführer,
Verräter und Berater.
Meinung 1
Man darf es ruhig ohne Illusionen
betrachten:
Die Haupttriebfeder der Menschen
ist der Eigennutz; die Menschen
hassen diejenigen, denen sie Unrecht
getan haben; sie lieben diejenigen
denen sie Güte erwiesen haben und sie
scheuen die, in deren Schuld sie zu
stehen glauben.
Meinung 2
Von allen Geschenken, die uns das
Schicksal gewährt, gibt es kein
größeres Gut als die Freundschaft,
keinen größeren Reichtum,
keine größere Freude.
Epikur
Gerüchte
Niemals hätte ich von mir aus gesagt,
ich wäre ein umtriebiges Bürschchen
gewesen. Obwohl meine Mutter keine
Gelegenheit ausließ, eben jenes zu
behaupten. Meine Kindheit und
Jugend erschienen mir rückblickend
immer hinreichend normal. Aber wenn
ich sie mit anderen vergleiche, muss
ich sagen: „O.k. Mein Lieber, das reicht
eigentlich für 5 normale Kindheiten,
von der Jugend ganz zu schweigen“!
Einflüsse
Für meinen Charakter prägend waren
selbstverständlich auch die Einflüsse
von Freunden, auf die ich hier an
dieser Stelle eingehen möchte.
Vorausgeschickt sei allerdings noch
die Erkenntnis, dass ich mir diese
Freunde stets selbst ausgesucht habe
und deshalb wohl bereits eine Art
Vorauswahl der Einflüsse, die ich an
mich heranlassen mochte, getroffen
hatte.
Das Zufall oder Schicksal zu nennen,
wäre nicht die Wahrheit, es geht
eher in die Richtung C. G. Jung`s
umgedrehter Kausalität.
Mein „Best Buddy“ seit der ersten
Klasse war der unglaublich arrogante Heinz.
Er teilte die Schulbank mit
mir, war stinkreich, hatte eine
wunderschöne Mutter, ein großes
Zimmer und wohnte im (eigenen)
Haus - unserem Mietshaus direkt
gegenüber. Wir rieben uns ständig
aneinander,
Er war (anderen gegenüber)
hochnäsig und dominant. Ich
dagegen meist beliebt. Zusammen
rockten wir die Kids der
Nachbarschaft. Wir heckten
Streiche aus, kämpften
zusammen gegen Hausaufgaben
oder andere Jungs, oft miteinander
und oft auch gegeneinander. Wir
führten einen erbitterten Krieg mit
seiner Hausmeisterin; - gegen
eingebildete oder tatsächliche
Gegner; - gegen Tristesse;
- gegen hohe Erwartungen und
schlechte Zensuren.
Manchmal waren wir wie Brüder.
Doch eines Tages beging er an mir
einen feigen Verrat – und schwärzte
mich bei seiner Mutter an, für eine
Sache die er selbst angestellt hatte.
Ich hatte nicht die Größe
ihm zu verzeihen.
Philipp Anger war das krasse
Gegenteil von Heinz. Er war so
etwas wie ein nachbarlicher
Huckleberry-Finn.
Wo Heinz adrett war – war er
schmuddelig. Wo Heinz
„Everybodies Darling“ war,
markierte er den unbeliebten
Außenseiter. Wo Heinz im Grunde
ein Muttersöhnchen war – war er
„Rambo“... Stur, bockig,
selbstbewusst und unangepasst.
Vater hatte er keinen
(so drückte er sich zumindest aus)
und seine alleinerziehende Mutter
musste den ganzen Tag arbeiten um
die beiden durchzubringen. Er hatte
kein eigenes Zimmer, darum nahm
er kurzerhand den Heizungsraum
im Keller des Hauses,
in dem sie zur Miete wohnten, in Besitz.
Ich bin ihm im Alter von etwa zehn
Jahren zum ersten Mal begegnet. Ich
glaube er war zu der Zeit mit seiner
Mutter gerade erst hier eingezogen.
Er war fast zwei Jahre älter als
Heinz und ich und eine Klasse
über uns. Deshalb hätten wir
normalerweise kaum etwas
miteinander zu tun gehabt
(die Großen geben sich nicht mit den
Kleinen ab) , wäre da nicht Philipps
Vorliebe, kleinere Mitschüler zu
quälen und zu traktieren gewesen.
Ich hatte es im Pausenhof schon
öfter gehört und gesehen, und
irgendwann wurde ich dann selbst
mit dem Problem (und Philipp)
konfrontiert. Es geschah, wenn ich
mich recht erinnere, während
unserer Lieblingszeit, nämlich den
Wochen, wenn auf der Theresien-
Wiese die Oktoberfestzelte und
Buden aufgebaut wurden. Für uns
Kinder aus der Gegend „Eldorado“.
Nirgends konnte man so toll spielen
(z.B. Cowboy & Indianer) wie dort.
Es gab unglaublich gute Verstecke
und den Hauch von Abenteuer.
Er erwischte mich, packte mich und
verdrehte mir den Arm. Genüsslich,
immer ein bisschen mehr aber ich
tat ihm nicht den Gefallen zu
schreien oder ihn anzuflehen
aufzuhören. Das hatten die Jungs
im Pausenhof getan und es hatte
ihnen nichts genützt. Statt dessen
sagte ich zu ihm (obwohl mir vor
Schmerz die Tränen übers Gesicht liefen
und mir fast die Stimme versagte):
„Wenn du jetzt nicht aufhörst,
wird es gleich einen ziemlichen
Knacks geben - weil dann der
Knochen bricht, und dann hast
du ein Problem, ich weiß nämlich
wer du bist, wie du heißt
und wo du wohnst“!
Er ließ los und sagte so etwas wie:
„Ach was Kleiner, so war´s doch
nicht gemeint“! Aber ich hatte ihn
beeindruckt und von da an waren
wir Kumpels.
Toll für einen 10-Jährigen, wenn er
einen fast 12jährigen seinen Freund
nennen kann. Noch dazu so ein
exotisches Exemplar. Er hatte
bereits einige „Trabanten“. Lauter
Jungs die so ein/zwei Jahre jünger
waren als er, die er dominierte und
herumkommandierte. Ich war eher
so etwas wie sein Adept. Es war
faszinierend. Auf der einen Seite,
seine damals schon sehr
ausgeprägten dunklen Neigungen
(er war kriminell und sadistisch) ;
andererseits hatte er unglaublich
viel Fantasie und eine
außerordentliche Sprachbegabung.
Ich möchte damit sagen, dass er
einfach tolle Geschichten erfinden
und vortragen konnte. Hatte er z.B.
farbige Bonbons oder Brause
dabei, so erzählte er uns welch
wundersame Eigenschaften diese
entfalten könnten. Sogleich fiel
ihm ein, dass man nach dem
Genuss des roten Brausestangerls
fliegen kann, aber nur wenn man es
gleichzeitig mit einem 4-Blättrigen
Kleeblatt schluckt. Sofort machten
sich alle seiner Zuhörer auf die
Suche. Nach einer halben Stunde
hatte endlich einer ein 4-Blättriges
Kleeblatt gefunden, aber
dummerweise hatten Philipp und
ich mittlerweile alle Brausestangerl
aufgefuttert.
Er war ein Träumer, der es verstand
andere in seine Traumwelten
mitzunehmen in denen es
vorwiegend um Abenteuer ging.
Wie Pippi Langstrumpf – aber
dunkler und gefährlicher.
Mit ihm zu spielen war eine
unaufhörliche Mutprobe.
Es war seine Idee unsere Blasrohre
mit selbstgebastelten Pfeilen aus
Nähnadeln und einem ausgetüftelten
Gewichtssystem zu bestücken. Sie
blieben nicht nur in Zielscheiben stecken.
Es war seine Idee mit einem
gefundenen Eimer (gut brennbarer)
Farbe und einigen Holzstöcken,
mitten im Holzkistenlager, Fackeln
anzuzünden. Aber ich war es,
der Kleine, der seine ausgebrannte
Fackel, an der noch ein Fünkchen
Glut unentdeckt vor sich hin-
schwelte in den Farbeimer tauchte,
welcher darauf mit einer
Stichflamme reagierte. Voller
Entsetzen löschten wir den Eimer
und traten all die entstandenen
kleinen Brände aus und liefen weg.
Adrenalin in seiner reinsten Form.
Seine Idee war auch das
„Russische Stein Duell“.
Aber davon das nächste mal.
Emil