KUNST IN DEFINITION
Eines Abends, als eine Handvoll enthusiastischer Teenager
(darunter auch mein jugendliches ich)
mit herausgereckter Brust und verklärtem Blick
aus ihrem Übungsraum im Müllerschen EFH-Keller
(mit der bemerkenswerten Eierdeckel-Schallisolierung)
- nach dem kollektiven, überaus befriedigendem Absondern
von Klängen und Tonfolgen die Treppe nach oben wankten
- um im unglaublich bürgerlichen Wohnzimmer
von Heiner Müllers Vater das Sofa zu besiedeln,
entschlüpfte einem von ihnen, (einem Langhaarigen)
dem biederen Hausbesitzer gegenüber die Bemerkung:
„Wir sind halt Künstler“!
Ergrimmt machte der Angesprochene
durch die Reibung von Daumen und Zeigefinger
das allgemein verständliche Zeichen monetärer Präsenz
und rüpelte, sich vom Sofa aufrichtend,
den Zigarrenstumpen aus dem Mundwinkel nehmend:
„Künstler woits ihr sei, ...Ha, ...Künstler?
- Oaschlecher seitz, wei a Künstler der hods do“! Und
wieder dieses aufdringliche Reiben von Daumen und Zeigefinger.
Dieser kurze Satz,
der sich in seiner niederschmetternden Ernüchterung
in meine Erinnerung fraß, und dessen Wahrheitsgehalt
sich mir erst viel später erschloss, verbirgt in seiner
bayrischen Komprimierung die wesentlichen Elemente
des Kunstbetriebs.
Komplettierend füge ich hier Fragmente der Abhandlung
von Rolf Peter Sieferle mit dem Titel: „Kunst und Charisma“ hinzu:
Wo alles Kunst und jeder Künstler sein kann, ist die Anerkennung des
Künstlertums eine Frage des Charismas. Nicht so sehr, was an Objektivationen
sekretiert wird, was an der Wand hängt oder in den Räumen herumsteht,
sondern viel mehr die Persönlichkeit dessen,
der diese Sekrete absondert, steht im Vordergrund.
Wir bewundern im Künstler den Virtuosen der Macht,
den glänzenden Projektanten, Organisator, Überzeugungsarbeiter,
Selbstdarsteller und Programmverkünder. In der systemischen Welt
horizontaler Beliebigkeiten gilt jede Dezision nur mehr als sie selbst;
gewinnt sie an Gewicht nur insofern, als sie sich durchsetzen kann.
Noch im philosophischen Seminar, wo über diskurs-ethische Fragen
debattiert wird, lässt sich beobachten, dass weniger zählt, welches
Argument vorgebracht wird, als wer es wie vorbringt.
Genial … Einfach brilliant !
Wie könnte man diese wenigen Sätze treffender beschreiben?
Kunst ist alles, was Menschen für Kunst halten – und da hat
der Künstler oder Kunstagent, der sich und seine Werke
gut verkaufen kann, die Nase vorn.
Nicht nur Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Unter all dem, was man dem Kunstbetrieb zurechnet
ist nur das von Wert – ergo Kunst, das Wert besitzt –
also von Kunstkritikern und der Fachpresse hochgeschätzt
und bestaunt -; von Sammlern begehrt -; als nachhaltige
Wertanlage geschätzt – und in Galerien ausgestellt oder von
den Medien bekanntgemacht und breitgetreten wird.
Darum gebe ich dem guten Herrn Müller (posthum) recht
– weil man einen (anerkannten) Künstler durchaus
an seinem Erfolg, also auch an seinem Bankkonto
erkennen kann.
Dem Nietsche-Jünger Rolf Peter Sieferle stimme ich zu,
dass der Unterschied zwischen einem guten, aber erfolglosen
Künstler – und einem guten, aber erfolgreichen Künstler
tatsächlich (abgesehen von den Faktoren Glück, Zufall und der
„Faust-schen“ Seelen-verkäuflichkeit) nur am Auftreten und
am Charisma zu liegen scheint. Wer es versteht,
sich selbst und die eigene Wichtigkeit aufzublähen,
ist klar im Vorteil. Wem es gelingt, die eigene
künstlerische Undeutlichkeit von anderen deuten
und interpretieren zu lassen, hat es geschafft.
Die Kunst selbst, sei es nun Malerei oder Musik,
Literatur oder Theater, oder oder…...., generiert sich
aus der Kreativität des Schaffenden. Deren Qualität aber
erschließt sich oft nur Kennern und Fachleuten,
und so war es möglich, dass der Kommerz:
* nicht-künstlerisch beschlagenen Menschen, -
* welche dieses kleine Handicap an sich selbst
aber nicht zugeben oder wahrhaben wollen
und sich meistens für Kunstliebhaber oder Mäzene halten
* sich statistisch in des Volkes Mehrheit befinden –
* und oft die monetäre Vormachtstellung innehaben
* ein „X“ für ein „U“ verkaufen konnte – und immer wieder kann.
(in frappierender Ähnlichkeit zu dem Märchen:
„Des Kaisers neue Kleider“)
Und so geschah es, dass auch der Kunstbetrieb
vom Kommerz unterwandert, limitiert und
genormt wurde. Im Kapitalismus ist der gute
Verkäufer dem guten Künstler um Längen voraus.
Dies gilt zumindest für den breiten Bereich an Kunst
der solides Wachstum und hohe Renditen verspricht.
Der Rest ist eher uninteressant. Ramsch!
Aber …..................
aber gerade da kann der Kundige, Geduldige, Suchende,
der Kunstverständige, der seine Haut und seinen Geschmack
nicht zu Markte getragen oder jedweden Trends unterworfen
– Perlen unerkannter Genialität entdecken.
Denn Kunst blüht, ähnlich wie Botanik, nicht nur in
strenger Ordnung und Spalier sondern erwächst gern an
ungewohnten Stellen (auch auf dem Misthaufen)
mit vitaler, ungezügelter Kraft und Originalität.
Emil